Mit einem Mal war alles anders

Über die Nacht vom 14. auf den 15. Juli und die Tage bzw. Wochen danach zu schreiben, fällt auch vier Monate nach den Ereignissen immer noch schwer. Niemand konnte (oder wollte?) sich vorstellen, was die Wetterwarnungen bedeuten würden, die wir in den Tagen zuvor hören und lesen konnten. Ja, es regnete – aber so? Sicher Geglaubtes wurde mit einem Mal fortgespült – im eigentlichen und im übertragenen Sinn. Daher kein genereller Abriss, sondern ein paar ganz persönliche Eindrücke…:

Mittwoch, 14. Juli – 19.32 Uhr: Anruf meiner Mutter. In ihren Keller läuft Wasser. Ja, das kommt doch schon mal vor. Eine Stunde Fahrt nach Odendorf? Bei dem Wetter gibt’s schönere Dinge, aber wir fahren. Thorge und Lasse kommen mit – ausgestattet mit Pumpe und anderen Dingen, von denen wir dachten, dass wir sie brauchen können. Lasse und ich haben „Sicherheits-Crocs“ an, da wir ja ins Wasser wollen.

19.45 Uhr: Wir sind gestartet und kommen eigentlich schon nicht mehr aus Hellenthal vernünftig raus. Die ersten Straßen sind gesperrt, da das Wasser sich schon neue Wege gesucht hat. Telefonnieren ist nicht mehr möglich, da das Netz großflächig ausgefallen ist. Also was machen? Wir fahren trotzdem, es macht nicht Spaß. Nach etwas mehr als einer Stunde sind wir in Odendorf, doch das Dorf ist eigentlich schon nicht mehr erreichbar. Zahlreiche Autos werden von der Feuerwehr zurückgeschickt. Als ich mein Ziel nenne, bekomme ich nur noch zu hören, dass dahin kein Durchkommen mehr ist, da der Bach, der im Sommer eigentlich immer ausgetrocknet ist, über 5 m angestiegen ist, und daher kein Rüberkommen auf die andere Bachseite ist. Wir dürfen meine Schwiegereltern besuchen, die auf dieser Seite des Baches wohnen. Auch bei ihnen läuft der Keller voll. Unsere Pumpe nützt allerdings nichts mehr, da der Strom schon lange ausgefallen ist.

21.00 Uhr: Es geht wieder nach Hause, da wir hier nichts mehr machen können. Wer weiß wie es zu Hause aussieht. Handy ist ja nicht mehr.

23.35 Uhr: Wir erreichen endlich wieder Hellenthal. Unterwegs dachte ich immer wieder: Kommen wir je heute Nacht zurück. Straße um Straße war nicht mehr passierbar. Wir sind immer weiter auf der Höhe geblieben um dann endlich irgendwann ins Tal vorzustoßen. Durchs Dorf kommen wir nicht mehr, da ein kleiner Bach so viel Wasser transportiert, dass das Wasser auf der Straße kniehoch mit großer Geschwindigkeit herunterfließt.

23.40 Uhr: Unser Bus ist sicher abgestellt, wir kämpfen uns zu Fuß (Sicherheits-Crocs) durch den Regen, über den Berg durch den Wald nach Hause. Die Handys der Jungs sind schon lange leer, ich habe noch 20 %, was gerade uns genug Taschenlampe bis nach Hause bringt.

Donnerstag, 15. Juli – 0.00 Uhr: Endlich wieder zu Hause. Meine Frau und unser Labbi Emma freuen sich, uns zu sehen. In unserem Keller ist inzwischen auch Wasser. 30 cm – es wird in der Nacht noch ein Meter – zum Glück kein Wasser und Schlamm der Olef, sondern einfach nur Wasser, was durch die Kellerwände gedrückt wird. Die Olef überflutet 2/3 unseres Gartens – allerdings ohne Verwüstung und am Morgen ist auch alles wieder raus.

0.45 Uhr: Wir schauen mal in die Kirche, wie es da aussieht. Glück im Unglück – ein paar Zentimeter Wasser sind eingedrungen. Doch der Schaden ist trotzdem da, da unsere Kirchenheizung dennoch komplett abgesoffen ist. Der Heizungskeller stand komplett unter Wasser, sodass unsere neue Heizung schon wieder ersetzt werden musste.

4.00 Uhr: Das Wasser in unserem Keller steigt nicht mehr – wir gehen für 2 ½ Stunden schlafen, dann fängt das große Aufräumen an.

Wir hatten Glück im Unglück. Die Schäden sind da, aber zu schaffen. Andere stehen vor dem Nichts, da das Haus nicht mehr steht – alles weg ist, besonders die Erinnerungen in Bildern. Es ist anstrengend, da eigentlich jede Familie betroffen ist. Entweder mit eigenem Schaden oder da man mindestens eine Familie kennt, die betroffen ist. Und dann beginnt das große Aufräumen, wo wir doch eigentlich Sommerferien haben und eigentlich auch in Urlaub fahren wollen. Nach und nach wird auch das Ausmaß der Schäden an unseren kirchlichen Gebäuden klar: Unsere zwei historischen Kirchen in Schleiden und Gemünd sind bis auf Weiteres nicht mehr nutzbar. Olef bzw. Urft standen rund zwei Meter in den Kirchen. In unserem Gemeindehaus in Kall muss der Keller komplett erneuert werden. Unser Pfarrhaus in Gemünd ist nicht mehr bewohnbar. Da erreichte die Urft fast die erste Etage. Unser Gemeindebüro ist von den Fluten ausgeräumt worden – auch unsere historischen Kirchenbücher wurden im feuerfesten Tresor nicht vom Wasser verschont…

Doch es geht weiter. Gottesdienste feiern wir in Kall und Hellenthal, unsere Gemeindearbeit kann – nach oder mit Corona – wieder starten, auch das Gemeindebüro ist an anderer Stelle wieder arbeitsfähig.

Die Spuren der Zerstörung sind überall zu sehen und zu spüren. Doch da sind dann auch die großen und kleinen Hoffnungszeichen:

-        Spenden, die wir an betroffene Familien weitergeben können.

-        Die große Kinderfreizeit zum Ende der Sommerferien, zu der die Ev. Kirchengemeinde Merzig (Saarland) eingeladen hatte und so 22 Kinder und Jugendliche 10 Tage raus aus der Zerstörung kamen

-        Die Sternschnuppen-Aktion, bei der sich betroffene Kinder etwas wünschen dürfen, was dann am 1. Advent auch von der Kirchengemeinde Merzig erfüllt wird.

-        Kontakte zu Gemeinden aus ganz Deutschland oder der Schweiz. Teils über die Pfadfinder, teils ehemalige Schüler, vielfach von Gemeinden, die einfach nur angefragt haben.

Es tut gut, die Unterstützung von so vielen Stellen zu erleben.

Es tut gut, im Gebet und Fürbitten verbunden zu sein.

Es tut gut, sich auch der Gemeinschaft der Pfadfinder sicher sein zu können.

Olli

(Oliver Joswig, Pfarrer in Hellenthal)

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